Versuch anzukommen
Elisabeth Czihak ist im Kargen zu Hause. Sie schafft Welten aus Schwarz und Weiß: schwarze Tusche auf dem Weiß des Papiers. Immer haben diese Arbeiten etwas sehr Stilles, Feines, in das sich hie und da heftige Töne mischen. Im Ganzen gesehen ist der Charakter der Arbeiten bestimmt von weiten Flächen, unberührten Zonen, die von Strichen so durchzogen werden, dass das Weite, Unberührte erhalten bleibt. So, als wäre der Zeichenstift ständig auf Erkundung und zugleich sorgfältig bedacht, ein Geheimnis zu hüten.
Ins Weiß des Blattes sind Linien gezogen, die sich zu festen Gebilden verdichten können. Doch selbst die dunklen, wolkigen Ballungen lassen noch das Weiß durchleuchten als ein gleichmäßiges Geflimmer heller Punkte im Schwarz. Die Verdichtungen lockern sich an ihren Rändern auf, sie gehen in vereinzelte Linien über, die wieder zu anderen Knäueln führen. Nirgends ist ein Ende zu sehen. Eins geht ins Andere über, die Knäuel bleiben vereinzelt oder verdichten sich wieder zu Knäuelfamilien.
Elisabeth Czihak öffnet mit ihren Arbeiten die Tore der Phantasie weit. Wer gewohnt ist, seine Wohnung selber sauber zu halten, wird sich vielleicht an den Lurch erinnert fühlen, jene lebewesenartigen Gebilde aus Staub, Haaren und Fasern, die über den Fußboden treiben wie die Wolken über den Himmel. Natürlich wird auch die Erinnerung an Wolken wachgerufen, wolkige Gebilde. Oder Haare, feine Fasern im Wind. Oder Algen, geheimnisvolle Lebewesen, die in den Weiten des Ozeans treiben. Vorstellungen aller Art stellen sich ein, Bilder der Natur von schwebend Bewegtem, Vorüberziehendem, Wolkigem, von zarten und zugleich bedrohlichen Wesen.
Aber noch etwas Anderes ist möglich. Die Zeichnungen als Spuren einer Wanderung zu betrachten. Eines rastlosen Ausziehens und immer wieder Zurückkehrens, eines Verharrens an einem Ort, wie wenn einer sich eingräbt ins Unberührte und Halt finden möchte im Verdichten der unsteten Bewegung zu einem Aufenthaltsort. Wie wenn einer immer wieder an dieselbe Stelle zurückkehrt, um heimisch zu werden. Doch immer wieder geht es fort und eine dunkle Wolke entsteht neben der anderen. Immer neue Versuche anzukommen. Doch keiner dauert. Immer neue Welten entstehen. Manche schweben fast schon verloren im Weiß. Bis alles im Stillen verstummt. Und Stille herrscht.
Gustav Schörghofer, 2006