Zu den Pariser Fotografien
Die hier thematisierte Serie im Frühjahr 2007 in Paris entstandener Arbeiten von Elisabeth Czihak als „Pariser Fotografien“ zu bezeichnen, ist zugleich richtig und falsch. Richtig, weil diese Arbeiten an verschiedenen Schauplätzen in Paris in diesem Zeitraum entstanden sind, und falsch, weil fast nichts in diesen Aufnahmen architektonischer Situationen direkt oder indirekt auf den Schauplatz Paris verweist.
Nicht nur Paris als wieder erkennbares Stadtbild ist in diesen Fotografien absent, sondern auch Menschen sind in diesen urbanen Szenarien abwesend, doch verweisen die Architekturen in Türen, Fenstern, Treppen, städtischen Möblierungen, Wegführungen, Verkehrszeichen, Rasenstücken auf ihre Funktion in Bezug auf Menschen. Beim Betrachten der anonym wirkenden Arbeiten von Außen- und vereinzelt auch Innenräumen habe ich mich immer wieder gefragt, inwiefern sie auf etwas Spezifisches verweisen oder eben jene Spezifikation vermeiden wollen. Es sind präzise, scheinbar dokumentarische Aufnahmen von existierenden architektonischen Situationen, doch verweigern sie klare Hinweise auf Ort, Zeit und Umstände der Aufnahme, haben vergleichbar den „creatures“ genannten Zeichnungen der Künstlerin etwas Diffuses an sich. Ein rudimentäres Rasenstück oder Naturfragmente mögen auf eine jahreszeitliche Situierung hinweisen, mit der Lupe kann man Schriften auf Verkehrszeichen in französischer Sprache entziffern, die Konstruktion der Außentreppen scheint auf lokalspezifische Traditionen hinzuweisen, doch alles in allem bleiben diese Fotografien auch bei genauer Betrachtung seltsam ortlos, zeitlos, kontextlos, anonym und zufällig, frei schwebend.
Was wir sehen, sind heterogene architektonische Details, meist von Örtlichkeiten, wo ein Bauteil auf einen anderen trifft, also zwei Bauten aneinander stoßen, eine Brüstung an eine Fensterfront, ein Weg auf einen Treppenaufgang, eine Gebäudeecke an einen Platz, eine Plattform auf eine Begrenzungsmauer. Es sind also Zwickelsituationen in Zwischenräumen, die eigentlich erst das städtische Agglomerat begründen, die architektonischen Einzelelemente überbrücken, verbinden, aneinanderfügen. Manche Treppen scheinen ins Nichts zu führen, Wege ins Endlose, andere in die Sackgasse, wieder andere verlieren sich auf leeren Plätzen.
Der fotografische Blick der Künstlerin ist dabei entweder horizontal gerichtet, oder mit einem schwachen Neigewinkel nach unten, sodass fast immer ein Bodenstück den unteren Raum der Bildfläche einnimmt. Bemerkenswert ist auch, dass die Bildausschnitte nicht „nachbearbeitet“ sind. Es wird schon im Moment des Fotografierens kein Wert auf die zentrierte Sicht auf einen Bildgegenstand gelegt, kein Bildmotiv herausgearbeitet, fokussiert, sondern man sieht Teile von Architekturelementen, die willkürlich an- und abgeschnitten erscheinen.
Die von Elisabeth Czihak fotografierten architektonischen Elemente sind in den 50er bis 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, und sie tragen den dem Baustoff Beton eigenen Charakter der Anonymität in sich. Der ubiquitäre Beton, der in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg massenhaft eingesetzt wurde, um die durch den Krieg entstandenen architektonischen Verluste und Lücken in den Städten Europas zu füllen und zu kitten, der billig war und mit dem man schnell noch vorhandene alte Bauteile flicken und Verbindungen zwischen Relikten herstellen konnte. Dieser Baustoff ohne Eigenschaften ist inzwischen 30, 40, 50 Jahre alt geworden und hat eine gewisse Patina erworben. Nach wie vor wirken Betonelemente – sofern der Werkstoff nicht bewusst als prägendes architektonisches Element von Architekten eingesetzt wird, wie eine Verlegenheitslösung, tragen den Charakter von Unförmigkeit, Ungestaltheit, von Anorganischem in sich und verstärken den Eindruck der Absenz, der Leere, der Stille, ja man kann fast von Entrückung in diesen Fotobildern sprechen.
Je leerer ein Bild erscheint, desto mehr fühlt sich der Betrachter gedrängt, es zu füllen, zu beleben, Spuren zu entdecken, das Bruchstückhafte im eigenen Kopf zu ergänzen. Widersprüchlichkeit drängt sich auf, wenn die Funktionalität, die ja ein wesentliches Kriterium dieser Art von Architektur ist, durch Menschenleere und Disparatheit dysfunktional und zum toten Gelände wird. Gleichzeitig stellt sich – wiederum ähnlich wie bei den Zeichnungen – eine Stimmung ein, die ich als „flottant“, freischwebend, bezeichnen möchte, eine eigenartige Poetik der Leere, die das Bewusstsein des Betrachters auf Wanderschaft und Spurensuche schickt.
Barbara Wally, 2007